Ich sitze in meinem Stamm-Café und nippe an einem grünen Tee. Ich mache mitten am Tag eine Pause, weil ich gelernt habe, wie wichtig es ist, sich diese Ruhezeiten ohne Schuldgefühle zu gönnen. Bis mein Unterbewusstsein plötzlich folgenden Satz vom Nebentisch abfängt:
„Ich habe die letzten Wochen immer 60 Stunden pro Woche gearbeitet, ich bin ein richtiger Workaholic.“
Dieser Satz triggert etwas in mir: Seit wann ist es zum Statussymbol geworden, sich selbst als Workaholic zu bezeichnen? Bei manchen Menschen klingt das wie etwas, worauf man stolz sein kann. Eine Trophäe, die einem verliehen wird, wenn man besonders gelitten und gekämpft hat. Mich stört nicht, dass jemand viel gearbeitet hat. Manche können das ohne Probleme wegstecken, wenn es die Ausnahme bleibt.
Die schleichende Gefahr
Was mich stört, ist die ungesunde Haltung, die mit diesem Satz so offen propagiert wird: Nein, es ist kein Prädikat, ein Workaholic zu sein. Es ist auf Dauer nur eines, nämlich gefährlich. Erst recht in einer Zeit, in der jeden Tag das Maximum von uns gefordert wird. Ich konnte das schon am eigenen Leib nachspüren: In stressigen und intensiven Projektphasen habe ich gelegentlich Einschlafprobleme und meine Augenlider fangen unkontrolliert an zu zucken.
Nichts Erstrebenswertes, wenn ihr mich fragt. Aber das Wort klingt ja so sexy, nicht wahr? Dann nennen wir das Kind doch einfach mal bei seinem deutschen Namen: Arbeitssucht. Ja, das klingt dann nicht mehr so schön. Und gesund sowieso nicht.
„Ein Hamsterrad kann von innen aussehen wie eine Karriereleiter.“
– Unbekannt
Irgendwann einmal, da gab es eine Zeit, in der die Devise galt: „Wir leben nicht, um zu arbeiten. Sondern wir arbeiten, um zu leben.“ Aber da habe ich wohl etwas nicht mitbekommen, diese Zeit scheint lange zurückzuliegen. Und dieser Workaholic-Lifestyle gewinnt immer mehr an Prestige: Man möchte besonders effizient sein, indem man möglichst oft sein Smartphone zückt und „arbeitet“ – sogar beim Essen. Busy, busy, busy.
Für mich steht das Wort Workaholic nicht für Fleiß. Sondern für eine ungesunde Sucht, die man keinesfalls glorifizieren sollte. Und hier auf Vanilla Mind hat diese Denkweise nichts verloren.
Bist du ein Workaholic?
5 Alarm-Signale, die du nicht ignorieren solltest
#1 Dein gesamtes Denken kreist nur noch um die Arbeit.
Neigst du dazu, alles andere zu vernachlässigen, weil dir deine Arbeit wichtiger ist? Andere Menschen haben dir schon gesagt, dass du weniger arbeiten solltest, aber du hörst nicht auf sie. Und wie sieht es eigentlich in deiner Wohnung aus: Schaffst du deinen Haushalt noch?
#2 Du wirst immer einsamer.
Besonders gefährlich: Je mehr Zeit du mit deiner Arbeit verbringst, desto mehr leiden deine sozialen Kontakte. Du siehst deine Familie und deine Freunde immer seltener und ziehst dich mehr und mehr in deine eigene Welt zurück.
#3 Du redest nur noch von deinem Job.
Es spielt keine Rolle, ob du gerade einen gemütlichen Abend mit Freunden verbringst oder in der Pause mit Kollegen zusammensitzt: Geredet wird immer und überall nur von der Arbeit. Dir fällt gar nichts anderes mehr ein, über das du sprechen könntest.
#4 Du spürst negative gesundheitliche Symptome.
Leidest du womöglich unter Schlafstörungen, Migräne oder Tinnitus? Auch das können Folgen von zu viel Stress durch Arbeit sein. Trotzdem bist du fest davon überzeugt, dass es nicht möglich ist, eine Pause zu machen. Oder du sagst gar: „Ich darf auf keinen Fall krank werden.“
#5 Du nutzt deine Arbeit, um anderen Problemen aus dem Weg zu gehen.
Manche Menschen nutzen die Arbeit, um emotionalen Stress abzubauen. Dies können zum Beispiel Ängste sein oder Konflikte innerhalb der Familie, die nicht aufgearbeitet werden. Besonders interessant: In einer Umfrage fand man unlängst heraus, dass rund ein Drittel der Workaholics unter Angststörungen leidet. Fast neun Prozent neigten zu Depressionen.
Du bist ein Workaholic? – Was du jetzt tun kannst
Achtung: Natürlich ist nicht jede Person automatisch arbeitssüchtig, weil diese Beschreibung gerade ganz gut passt. Gefährlich wird es, wenn du das Gefühl hast, ohne Arbeit langsam nicht mehr zurechtzukommen. Und das, obwohl du weißt, wie sehr sie dich stresst und auslaugt! Eine solche Belastung kann zu Burnout und vielen anderen gesundheitlichen Schäden führen.
Warum mir dieses Thema so wichtig ist? Gerade sehr sensible Menschen – häufig noch dazu in der Kreativbranche beschäftigt – neigen dazu, sich völlig in ihrer Arbeit zu verlieren. Sie lieben ihre Arbeit, neigen aber auch zu Perfektionismus und Selbstaufgabe, um ihre Deadlines zu schaffen und jedem gerecht zu werden. Dabei sind Pausen für jeden wichtig. Auch dann, wenn man seine Arbeit liebt! – Zu diesem Thema empfehle ich dir auch dringend diesen Artikel: „Warum ein Schritt zurück ein Schritt nach vorn sein kann.“
Auch auf mich trifft das zu. Ich bin ein richtiges Wiesel, immer am Rotieren. Manchmal verwischt die Grenze zwischen Arbeitsmodus und Arbeitswut unbemerkt. Ich nehme dann nicht einmal mehr meinen Hunger wahr oder dass ich zur Toilette muss. Das ist erst einmal nichts Besonderes, man könnte es auch als Flow-Zustand beschreiben, wenn es nur phasenweise so ist. Dennoch muss ich aufpassen, dass ich mich nicht überfordere und einen Tunnelblick entwickle.
5 wichtige Hilfen, um abzuschalten:
→ Einen Wecker beim Arbeiten stellen. Eine Methode, die ich schon seit Jahren anwende, um Pausen nicht zu vernachlässigen, ist die Pomodoro-Taktik. Wie genau sie funktioniert, kannst du in diesem Artikel nachlesen.
→ Klare Regeln für sich aufstellen. Zum Beispiel für Angestellte: Arbeit nicht mit nach Hause nehmen. Diensthandy abschalten (hier liest du mehr zum Stichwort Erreichbarkeit). Und für Selbstständige gilt: Feste Arbeitszeiten einführen. Arbeiten am späten Abend oder in der Nacht ist nicht das Problem, sondern die fehlenden Strukturen und das Vernachlässigen der Freizeit. Wenn ich am Wochenende arbeite (was vielleicht einmal im Monat vorkommt), dann nehme ich mir dafür unter der Woche mehr Zeit zum Abschalten.
→ Nein sagen, um die eigenen Grenzen zu schützen. (Wie du das Schritt für Schritt erlernen kannst, liest du hier.) Und was ebenfalls Wunder wirkt: Delegieren lernen.
→ Entspannungstechniken erlernen. Zur Vorbeugung und Stressbewältigung gibt es viele Angebote der gesetzlichen Krankenkassen. Ich habe vor einigen Monaten einen Intensivkurs für autogenes Training (AT) gemacht, dessen Kosten von meiner Krankenkasse übernommen wurden. Auch Sport ist für mich ein wichtiger Ausgleich, um runterzukommen.
→ Wenn du das Gefühl hast, alleine nicht weiterzukommen: Tausch dich mit Gleichgesinnten in einer Selbsthilfegruppe aus, um reflektierter zu werden und Akzeptanz zu schaffen. Zu akzeptieren, dass es okay ist Hilfe zu brauchen, ist der erste Schritt. Eine gute Hilfe können zudem ein Coaching oder eine Psychotherapie sein. Denn dort lernt man, die Hintergründe seines Handelns zu ergründen und kann gemeinsam mit dem Therapeuten eine Lösung erarbeiten.
Schlagwörter: Achtsamkeit / Arbeit / Balance / Entschleunigung / Entspannung / Job / Produktivität / Selbstmanagement / Selbstständigkeit / Stress / Work-Life-Balance
Hmm, ich weiß nicht so genau, was ich mit dem Begriff “Workaholic” anfangen soll. Für mich ist er irgendwie negativ behaftet, weshalb ich ihn glaube nicht für die “Arbeit” an seiner Leidenschaft benutzen würde. Wenn man wirklich für die Sache brennt, die man tut, wie z.B. du (oder auch ich) mit deinem Blog, dann ist das Arbeiten daran Selbsterfüllung und dann sollte es auch okay sein, das 24 Stunden am Tag zu machen. Sobald es in Stress ausartet, wird’s schon wieder gefährlich.
LG!
Oh ja ich bin dann wohl auch ein Wiesel. Vor allem jetzt, wo ich eine Arbeit habe, die ich so liebe. Ich kann das gar nicht trennen. Aber ja ich stimme dir total zu, manchmal weiß ich gar nicht mehr, wie man richtig entspannt und deshalb finde ich das Wort Workaholic auch überhaupt nicht toll und schon gar nicht etwas, was man als Kompliment verwenden sollte.
Hallo liebe Melina,
das ist eine wunderbare Idee von Dir, den Begriff “Workaholic” mal zu durchleuchten! Ich selbst gehöre auch zu den Wieseln und habe mich in Deiner Beschreibung schmunzelnd wiedergefunden ;-)) Ich würde zwar nicht sagen, dass ich mich dazu zwinge, nicht an die “Arbeit” zu denken … Ich treffe eher eine bewusste Entscheidung z. B. im Kino: “Jetzt bin ich im Kino und genieße die Zeit hier und lasse mich auf den Film ein” – oder abends im Bett … da schicke ich einfach alle diese Gedanken vor die Tür und “sage” ihnen, dass sie dort gerne bis morgen früh auf mich warten dürfen … denn jetzt werde ich erstmal in meinen wohlverdienten Schlaf sinken …. Herzlichst Irmgard Bronder
Hallo Melina,
“Workaholic” wird ähnlich wie “Stress”, wie Du sagst, “inflationär” verwendet. “Diesen Monat können wir uns nicht treffen, ich bin total im Stress!”, heißt oft nur:”Ich habe diesen Monat viele Termine.” Meist würde eine weitere Verabredung vielleicht zu Stress führen oder derjenige hat zu viele knapp hintereinander gelegte Termine vereinbart und sich somit Hektik ausgesetzt. “Im Stress sein” hatte aber lange Zeit was cooles. Da war ich gefragt, ich war wichtig, unersetzbar, vielseitig interessiert…Mann, was war man toll, wenn man ständig “im Stress war”. Bewunderung pur “was Du so alles machst, wie Du das alles schaffst”.
Ähnlich beim Workaholic:
Jemand, der viel arbeitet, ist nicht automatisch ein Workaholic, wobei ein Workaholic allerdings viel arbeitet. Der Unterschied ist, dass ein Workaholic süchtig nach Arbeit ist; das Leben sich nur noch darum dreht, der Kopf nur noch daran denkt, derjenige sich immer mehr aus dem sozialen Umfeld zurückzieht. Von daher passt dieses Wort schon bei solchen Leuten. Warum Leute süchtig nach Arbeit sind? Da gibt es sicherlich viele Gründe: fehlende Anerkennung, soziales Umfeld, anfangs noch Motivation und Spaß am Erfolg, was in einer Spirale immer allgegenwärtiger Arbeit endet….und das ist Sucht. Das Leben desjenigen und derjenige selbst leidet darunter.
Jemand der “nur” viel arbeitet, nach der Arbeit aber auch lebt und abschalten kann, ist kein Workaholic.
Das Umfeld wo und wie jemand aufwächst, hat viel damit zu tun. In meiner Familie wurde immer gearbeitet. Egal was. Auch zu schlechten Konditionen.
Als ich nach einem Motorradunfall gezwungenermaßen eine mehrmonatige Pause einlegen musste und somit weniger Einkommen hatte, merkte ich, dass das auch geht. Und als ich danach meine Arbeitszeit reduzierte, kam mir viel Unverständnis entgegen: “Warum arbeitest Du denn Teilzeit? Ist das noch wegen Deinem Unfall?”
“Nein, ich möchte einfach mehr Freizeit.”
“Aha”
Und ich habe meine Arbeit gerne gemacht. Hatte ich auch weiterhin. Ich hab in der reduzierten Zeit fast genauso viel geschafft, wie in Vollzeit. Konzentrierter, effektiver, entspannter, ausgeschlafener. Aber cool war ich eben damit nicht mehr :-)
Ich kenne es auch allzu gut, wenn man nach der Arbeit nicht abschalten kann, weil man ständig an den Job denkt. Wenn man sich dann wirklich nur vor den Fernseher setzt, um sich berieseln zu lassen, kann es passieren, dass die Gedanken über die Arbeit dann im Bett wieder auftauchen. Und dann wird das Schlafen noch schwieriger. Mir hat es bis jetzt am besten geholfen, an richtig stressigen Tagen direkt nach der Arbeit laufen zu gehen. Besonders bei gutem Wetter freue ich mich da richtig drauf, ab dem Herbst muss ich mich dann allerdings schon oft zwingen. Aber der Effekt ist super und vor allem ist man danach richtig schön müde und hat gar keine Energie mehr für stressige Gedanken.
Liebe Melina,
ich bin wirklich froh, dass ich deinen Blog gestern entdeckt habe. Danke also für den Kommentar bei mir ;) Ich kann es kaum fassen dass ich nicht schon viel früher hier war! Du sprichst mir oft aus der Seele und es ist wirklich eine Freude durch deinen ganzen alten Beiträge beim morgendliche Kaffee zu stöbern. Ich werde jetzt auf jeden Fall öfter hier vorbeischauen und sende dir ein ganz dickes virtuelles Lob. Liebste Grüße, Lisa
Liebe Lisa,
vielen, vielen Dank für das nette Lob! Da freue ich mich riesig!
Ich kannte deinen Blog auch noch nicht und finde deinen Stil großartig. Genau mein Ding. :-)
Liebe Grüße,
Melina
Hallo Melina,
vielen Dank für den interessanten Artikel.
Die Aussage “ich habe die letzten Wochen immer 60 Stunden pro Woche gearbeitet” beeindruckt mich gar nicht.
Entscheidend ist doch, was man in jenen 60 Stunden gearbeitet hat.
Viele Aufgaben können heute mit Tools, Apps und Onlinediensten automatisiert werden.
Wer stattdessen alles aufwändig per Hand macht und dabei viel Zeit verliert, arbeitet in erste Linie unproduktiv.
Meine typische Reaktion ist daher: “Was hast Du in diesen 60 Stunden geschafft?”
Das finde ich dann viel spannender :-)
Hallo Mathias,
ja, total. Viele meiner Kollegen und auch Freunde verwechseln auch gerne mal Anwesenheitszeit mit tatsächlicher Arbeitszeit! Was bringt es 10h auf der Arbeit zu sein und davon aber nur 4h wirklich produktiv zu sein!?
Liebe Melina,
oje, ich bin auch ein Wiesel, ganz definitiv.
Ich liebe das Arbeiten, das Recherchieren, das Schreiben, das Kreativsein und empfinde es häufig gar nicht als “Arbeit” im eigentlich negativ besetzten Sinne. Sodass ich manchmal viel zu spät merke, wie ausgepowert ich eigentlich bin und dass ich (in der Rückschau) doch eigentlich schon wieder den ganzen Tag (ohne, dass es mir aufgefallen wäre) nicht anderes gemacht habe, als eben das: zu arbeiten.
Ich habe glücklicherweise eine bessere Hälfte an meiner Seite, die die Funktion des Ruhemodus bei mir regelmäßig (manchmal mit sanftem Zwang) aktiviert – und das, obwohl er selbst ein Wiesel erster Klasse ist. Manchmal machen wir uns gegenseitig über unser Verhalten lustig, manchmal arbeiten wir Seite an Seite die Nacht durch, machmal reiße ich ihn vom Projekt weg, manchmal andersherum. So bleibt glücklicherweise alles irgendwie von selbst in Balance. Und das ist so unglaublich wichtig.
Danke dir für diesen erneuten Denkanstoß, der sehr zum Reflektieren angeregt hat!
Liebe Grüße
Jenni
Willkommen im Wiesel-Club! <3 Ich liebe meine Arbeit über alles und bekomme manchmal um 3 Uhr nachts Ideen für neue Konzepte und Layouts. Da eine gesunde Grenze zu ziehen ist manchmal wirklich unfassbar schwer. Leider.
Aber alleine einen Job zu haben, den man über alles liebt, ist schon reiner Luxus.
Love,
Sylvie
Liebe Melina,
danke danke danke für diesen Beitrag. Ich habe selber das Gefühl jeden Tag zwischen den ganzen Workaholics unterzugehen und mich immer schlecht zu fühlen, weil ich mich hinsetze mit einem Kaffee und einem Stück Schokolade und da definitiv die Ausnahme bin.
Zu krass wird dieses Wort heutzutage als “Status” angesehen und wenn man nicht so ist, dann hat man keinen Erfolg und gibt nicht sein bestes. Manchmal fehlt mir da ein Engel auf der Schulter, der sagt man kann auch so erfolgreich sein ohne sich tot zu schuften.
Viele erholsame Grüße, Theresia von http://www.epiloguewoman.de
Ja, dieser negative Gruppenzwang ist nicht zu unterschätzen! Such dir am besten so oft es geht (gern auch via Internet) die Unterstützung von Gleichgesinnten.
Liebe Grüße und einen schönen Abend!
Melina
Geniale Wortführung (sagt man das so?). Interessante Darstellung jedenfalls. =)