Statistisch gesehen ist jede/r dritte Deutsche mindestens einmal in seinem Leben von einer psychischen Krankheit betroffen. Wenn das mal kein Grund ist, ein wenig mit den gängigen Vorurteilen über die Untiefen unserer Seele aufzuräumen, oder? Das dachte sich Lena Kuhlmann, Psychotherapeutin und Bloggerin auf „Freud mich“. Am 3.8. ist ihr Buch mit dem Titel „Psyche? Hat doch jeder!“ erschienen:

„Ich habe ein Buch über die Psyche geschrieben, weil ich finde, dass es an der Zeit ist, dass sie einmal die Hauptrolle in einer Geschichte bekommt. Ohne Psyche läuft nämlich gar nichts.“

Über das Buch

„Psyche? Hat doch jeder! Vom Hin und Her zwischen Herz und Hirn“ – Ein Buch gegen die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen und einen offeneren Umgang mit diesem Thema. #Psyche #Psychologie #verstehen #Therapie #BuchtippPsyche? Hat doch jeder!: Vom Hin und Her zwischen Herz und Hirn

256 Seiten, Klappenbroschur, Preis: € 16,95 (D) / € 17,50 (A), ISBN: 978-3-95910-150-9

Depression, Essstörungen, Panikattacken – diese psychischen Erkrankungen sind uns längst allen ein Begriff! Doch warum geraten Körper und Seele eigentlich aus dem Gleichgewicht? Und warum sind psychische Probleme im Gegensatz zu körperlichen noch immer ein schambesetztes Thema? Was ist das überhaupt genau – die Psyche?

Folgt Psychotherapeutin Lena Kuhlmann auf ihrer Reise durch die menschliche Psyche und schaut hinter die Kulissen ihres Therapeutinnenalltags!

Wie ist das eigentlich so… ? – FAQ mit Lena

Auf Lenas Buch freue ich mich schon seit Monaten. Ich weiß gar nicht mehr wie, aber durch ein paar Klicks quer durch Instagram bin ich auf ihren Feed gestoßen, den ich auf Anhieb nicht nur informativ, sondern – ganz wichtig – auch humorvoll fand. Und dann hatte ich doppeltes Glück: Lena bot mir nicht nur an, ihr Buch vor dem offiziellen Erscheinungstermin vorab lesen zu dürfen, sondern sie hat sich auch für ein Interview auf Vanilla Mind angeboten. Und das Beste ist: Die Fragen habt ihr, die Leserinnen und Leser von Vanilla Mind, gestellt.

Im Mut-Letter rief ich vor einigen Wochen dazu auf, Lena mit Fragen über ihre Arbeit zu löchern. Das Feedback war toll und heute bekommt ihr eure Antworten:

Würdest du deinen Job als den eines „Seelenklempners“ bezeichnen?

Lena Kuhlmann: „Nein, denn genau gegen solche Vorurteile und veraltete Begriffe will ich ankämpfen. Das vermittelt auch das falsche Bild von meiner Arbeit, denn in einer Psychotherapie gebe ich zwar Input, aber die eigentlich Arbeit leistet der Patient selbst.“

Mit welchen Stigmatisierungen der Gesellschaft hast du am meisten zu kämpfen?

„Ich bekomme diese gesellschaftlichen Stigmatisierungen eher indirekt, über meine Patienten mit. Es ärgert mich beispielsweise, dass alle, die eine Therapie gemacht haben, gegebenenfalls mit negativen Konsequenzen rechnen müssen. Zum Beispiel bei der Berufswahl wenn es um die Verbeamtung geht. Oder aber beim Abschluss einiger Versicherungen.

Ganz allgemein finde ich es erschreckend, dass die allermeisten Menschen, auch in meinem Freundes- und Bekanntenkreis, nicht einmal den Unterschied zwischen einem Psychologen und einem Psychotherapeuten kennen. Das zeigt einfach, dass wir noch ziemlich viel Aufklärungsarbeit zu betreiben haben und das war mit ein Grund dafür, dieses Buch zu schreiben.“

Gibt es eine gute Möglichkeit, im Job und im Alltag mit sensibleren Menschen umzugehen?

„Ich glaube es ist wichtig, gerade diesen Menschen zu zeigen, dass sie gesehen werden und dass man ihre Grenzen und Gefühle respektiert. Ja vor allem, dass sie so, wie sie sind, vollkommen in Ordnung sind.

Mir fällt in diesem Zusammenhang ein, wie ich einmal in einer Gruppe mit emotional belasteten und verhaltensauffälligen Kindern gearbeitet habe. Da sind die leisen, stillen Jungen und Mädchen manchmal ein bisschen zu kurz gekommen, weil wir Betreuer damit beschäftigt waren, die Rabauken in Schach zu halten. Und so ist das oft auch im Alltag: Das störende Verhalten, also wenn Menschen laut und aufbrausend sind, bekommt dann mehr Aufmerksamkeit. Deswegen ist es gut, sich dessen bewusst zu sein, um etwas dagegen zu tun.

Ansonsten bin ich ein großer Freund der offenen Kommunikation und würde bei Unsicherheiten immer dazu raten, das Gegenüber freundlich anzusprechen und zu fragen, wie man besser in Kontakt kommen kann. Da ticken wir eben alle unterschiedlich.“

„Psyche? Hat doch jeder! Vom Hin und Her zwischen Herz und Hirn“ – Ein Buch gegen die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen und einen offeneren Umgang mit diesem Thema. #Psyche #Psychologie #verstehen #Therapie #Buchtipp
Wie erklärt man anderen, dass eine Depression oder ein Burn-out nichts mit einer Charakterschwäche zu tun hat?

„Das ist ein Thema, das mir persönlich sehr wichtig ist. Leider gibt es immer noch so viele Vorurteile rund um die Psyche und psychische Erkrankungen.

Wir alle haben natürlich Ängste, Sorgen und Probleme und Menschen mit psychischen Störungen dürfen weder herabgewürdigt, oder (in)direkt als schwach dargestellt werden.

Ich frage mich oft, warum wir einen Unterschied zu körperlichen Erkrankungen machen. Da würde doch auch niemand auf die Idee kommen, einem Krebspatienten Schwäche oder Absicht zu unterstellen…

Ein Glück wird aktuell, so sehe ich das zumindest, viel Aufklärungsarbeit betrieben. Ich finde super, wenn sich Sportler wie Per Mertesacker öffentlich zu ihren Depressionen äußern. Das ist sehr wichtig, weil Fußballer wie er eine Vorbildfunktion haben und damit zeigen, dass wir alle mit psychischen Krisen zu kämpfen haben.

Was die Angehörigen angeht, haben diese beispielsweise die Möglichkeit zum Aufklärungsgespräch (Psychoedukation) bei einem Psychiater oder Therapeuten dazu zukommen. Es gibt auch einige Angehörigengruppen oder Foren, in denen man sich austauschen und über die Krankheit eines Nahestehenden informieren kann, wenn man das will. Und da sind wir bei einem wichtigen Punkt angelangt. Schlussendlich, und das ist die traurige Wahrheit, können wir das Gegenüber und dessen Einstellung nicht ändern. Und in diesem Fall können wir auf Dauer nur darauf achten was und wer uns gut tut und uns gegebenfalls schützen.“

Wie soll ich mich als (fremder) Gesprächspartner verhalten, wenn ich von der psychischen Erkrankung meines Gegenüber weiß?

„Das ist immer schwer pauschal zu beantworten, weil jeder Mensch anders ist und mit seiner Erkrankung auch unterschiedlich umgeht. Ich würde allerdings raten Interesse zu zeigen, nachzufragen, Hilfe anzubieten und hinzuschauen.

Ich finde gut, wenn wir irgendwann dorthin kommen, dass der Therapeutenbesuch so etwas alltägliches wird, wie der Kontrolltermin beim Zahnarzt. Und dass man einander dann auf der Straße fragen kann: ‘Na, wie wars denn heute in der Therapie? Hast du was für dich mitnehmen können?‘.“

Wie kann ich als sensibler Mensch entgegenwirken, dass ich immer zu Herzen nehme, was andere machen statt auf mich selbst zu hören?

„Wenn ich mir diese Frage durchlese, dann denke ich an ein kleines, zartes Bäumchen auf einer Wiese, das bei jeder kleinen Böhe von links nach rechts weht. Meinen Patienten berichte ich auch oft von diesem Beispiel und erkläre, dass man, um nicht all zu sehr vom Außen abhängig zu sein, innere Sicherheit/ Stärke gewinnen muss. Das man also bestenfalls zu einem kräftigen Baum heran wachsen sollte, dem so ein kleiner Windstoß wenig anhaben kann.

Es gibt viele spannende Übungen um diese Stärke zu erreichen und um an der eigenen Identität zu arbeiten. Ich denke ein wichtiges Thema kann es sein, „Nein“ sagen zu lernen, um auf die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu hören (und nicht den anderen immer alles Recht zu machen). Das braucht ein bisschen Übung, das kann man aber lernen und das lohnt sich.“

Ist bei Psychologen ein Patient mit einer Angststörung unbeliebt? Einige Therapeuten haben sich bei mir nie wieder gemeldet.

„Ich nehme an, hier ist von einem Psychotherapeuten die Rede und der Frage nach einer ambulanten psychotherapeutischen Behandlung. Angststörungen sind im Grunde etwas, was man, je nach Ausprägung, ziemlich gut ambulant behandeln kann. Deswegen kann ich mir das nicht als Grund für das „Nicht mehr melden“  vorstellen. Ich habe dafür aber eine andere Erklärung, denn die Therapeuten hierzulande sind leider in vielen Fällen komplett überlaufen; da kann man schonmal den Überblick verlieren. Viele meiner Kollegen führen nicht mal mehr eine Warteliste, weil sie auf 1 Jahr gesehen komplett ausgebucht sind. Ich vermute also, das hat weniger persönliche Gründe und ist dem System geschuldet.

Ich kann an dieser Stelle nur von Herzen ermutigen, nicht aufzugeben und weiter nach Hilfe zu suchen. Die Kassenärztliche Vereinigung beispielsweise, muss seit Neustem einen ersten Beratungstermin innerhalb von 4 Wochen nach Anruf anbieten. Leider hat sich dieses Angebot noch nicht so ganz rumgesprochen, aber es sollte unbedingt mehr genutzt werden.“

Dieses Buch? Sollte jeder haben!

Jetzt hast du schon einen kleinen Einblick in Lenas Mission erhalten. Ihr Buch kann ich dir auf jeden Fall ans Herz legen. Dazu musst du nicht selbst betroffen sein, sondern es empfiehlt sich, sich einmal mit der Psyche ganz sachlich auseinanderzusetzen und dazu zu lernen. Du wirst nach dem Lesen nicht nur mehr Verständnis für dich selbst und deine eigene Geschichte haben, sondern vor allem auch für deine Mitmenschen. Stichwort Mitgefühl und Rücksicht: Ich kann mich davon natürlich auch nicht komplett ausnehmen, denn wenn man selbst in schlechter Stimmung ist, kann man sich auch weniger gut gerade in andere hineinversetzen. Dann denke ich auch hin und wieder mal: „Ach, die ist aber auch echt wieder in ihrem Loch heute.“ Oder: „Boah, warum nimmt die sich bloß so wichtig?!“ Aber wir alle befinden uns auf einem Weg und wir wissen nie, was hinter dem Verhalten des anderen steckt. Und gerade weil wir den Background unserer Mitmenschen in der Regel nicht kennen, sollten wir alle lernen, achtsamer und nachgiebiger miteinander umzugehen.

Am interessantesten fand ich persönlich die verschiedenen Therapieansätze und die Kapitel über die häufigsten psychischen Erkrankungen (hallo Angststörungen!).

Dankeschön Lena, dass du dir so viel Zeit für dieses Interview genommen hast! Und auch für dein Buch, das bestimmt vielen Menschen Aha-Erlebnisse bescheren wird, so wie auch mir schon. 

Lena und ich freuen uns natürlich, wenn du diesen Artikel fleißig in deinem Netzwerk teilst und dabei hilfst, mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit für dieses Thema zu erregen. DANKE .

„Psyche? Hat doch jeder! Vom Hin und Her zwischen Herz und Hirn“ – Ein Buch gegen die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen und einen offeneren Umgang mit diesem Thema. #Psyche #Psychologie #verstehen #Therapie #Buchtipp

© Headerfoto: Moritz Thau

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