In unserer westlichen Kultur ist Glück ein Gefühl, das wir – behaupte ich mal – alle spüren wollen. Wir wollen unser Leben verbessern und uns wohl in unserer Haut fühlen. So weit, so normal. Das Erleben von Glück wird von Wissenschaftler:innen mit besserer körperlicher und psychischer Gesundheit, erhöhtem Wohlbefinden in Verbindung gebracht.

Die Suche nach dem persönlichen Lebensglück ist allerdings ziemlich steinig und voller Gefahren: Denn während wir uns durch all die Glücks-Ratgeber in Buchläden, Happiness-Tipps auf Instagram und die gut gemeinten Lebensweisheiten von Freund:innen und Verwandten wühlen, können wir manchmal erst recht unglücklich werden. Wir mühen uns Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte lang ab, erreichen einen Meilenstein nach dem anderen – und dennoch fühlen wir uns nicht glücklicher als vorher. Neuere Studien warnen sogar vor dem Streben nach Glück. Denn viele Menschen verkrampfen sich in ihrem Streben nach dem ultimativen Lebensgefühl und werden sogar depressiv¹.

👉 Das liegt vor allem daran, dass wir unsere eigene Definition von Glück einmal gründlich hinterfragen sollten:

Wie wäre es mit Zufriedenheit statt Glück?

Wir richten zu viel Aufmerksamkeit auf die großen Dinge des Lebens – die Beförderung, die Anerkennung, das Prestige-Projekt, das Gehalt, die Traumreise – und laufen an den kleinen Dingen, die Körper und Geist glücklich machen, einfach vorbei.

Ich finde, dass allein das Wort „Glück“ sehr irreführend ist. Glück klingt anstrengend. Es vermittelt den Eindruck, dass wir ständig ein Grinsen auf den Lippen haben müssten, weil wir ja ach so glücklich sind. Und dass wir dieses Glück immer wieder jagen und einfangen müssen, um den nächsten Kick zu erleben. Glück ist in Wirklichkeit aber glitschig wie Seife, die einem beim Aufschäumen aus den Fingern rutscht und im hohen Bogen durchs Bad fliegt. Soll heißen: Glück ist etwas Flüchtiges. Ein Moment, der vorbei geht.

Glücklich sein ist anstrengend, denn Glück ist flüchtig. Versuchen wir es stattdessen lieber mit Zufriedenheit!

Wenn wir uns glücklich fühlen, wird in unserem Gehirn der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet. Wenn das passiert, bekommen wir einen richtigen Rausch und das fühlt sich natürlich klasse an. Doch irgendwann ist es vorbei. Auf die großen Ereignisse und Hochgefühle folgen auch wieder Täler. Die großen Erfolge und Glücksmomente sind also nicht die Dinge, die uns dauerhaftes, nachhaltiges Glück bringen.

Deshalb verwende ich sehr ungern den Begriff „Glück“ und spreche stattdessen von Zufriedenheit. Zufriedenheit entsteht, wenn wir einen guten Kontakt zu unserer Gefühlswelt haben, unseren Bedürfnissen Aufmerksamkeit schenken und dafür sorgen, dass sie gestillt werden. Ich möchte einen inneren Frieden spüren, der mich weder in guten noch in schlechten Zeiten allein lässt.

Das Streben nach Glück ist Stress

Es erzeugt eine Menge Druck, sich immer gut fühlen zu wollen (hier spricht man von toxischer Positivität). Emotionale Tiefs gehören zum Leben dazu. Ich kann an mir zweifeln, trauern, schmerzliche Niederlagen und Brüche erleben… Und das alles muss dennoch nicht mein gesamtes Lebenskonzept infrage stellen. Das Leben besteht aus Wandel und Veränderung. Nichts bleibt wie es ist.

Das ist schwer zu verkraften. Für mich zumindest, denn ich tue mich schwer mit Akzeptanz und versuche in vielen Bereichen Kontrolle auszuüben, wo ich eigentlich gar keine habe. Dennoch ist mir über die letzten Jahre immer stärker bewusst geworden:

Um zufrieden zu sein, nützt es wenig, von Dopamin-Kick zu Dopamin-Kick zu rennen. In der Gehirnforschung hat man interessanterweise herausgefunden, dass sich dieser Effekt irgendwann abnutzt. In einem Versuch gab man Mäusen die Möglichkeit, sich per Schalter selbst Dopamin-Kicks zu verpassen². Die Mäuse wurden innerhalb kürzester Zeit süchtig und mussten den Schalter immer wieder betätigen, um sich gut zu fühlen. Das Ergebnis: Sie aßen nicht mehr, sie schliefen nicht mehr, sie kümmerten sich nicht mehr um ihren Nachwuchs. Die Versuchsleitung musste eingreifen, sonst wären die Mäuse gestorben.

Das Gute liegt näher als wir denken

Vieles von dem, was uns zufrieden und glücklich macht, liegt häufig schon vor unserer Nase. Das sind zum Beispiel Beziehungen zu unserer Familie, Freund:innen, Partner:innen. Ohne gute Beziehungen werden wir schnell unglücklich. Das ist auch ein Grund, warum schüchterne Menschen gern etwas an ihrer Schüchternheit ändern würden: Sie wünschen sich gute Beziehungen zu anderen und sehnen sich nach Verbundenheit. So ging es mir auch. Ich wusste, dass meine Ängste meiner Zufriedenheit im Weg stehen. Deshalb war es für mich unglaublich wichtig, hier etwas zu unternehmen.

Ein tiefes wohliges Gefühl der Zufriedenheit zu empfinden, ist in unserer hektischen Welt wichtiger denn je. Und auch, wenn Zufriedenheit bis zu einem gewissen Grad von unserer finanziellen Situation abhängt – die meisten Dinge, die uns guttun, hängen nicht unmittelbar von unserer Lebenssituation ab – und sie müssen auch nicht zwingend etwas kosten.

Was die innere Zufriedenheit stärkt:

👉 Sich anderen zu öffnen macht auf Dauer zufriedener. Zu merken, dass man nicht allein ist, schweißt zusammen. Ich brauche gar nicht so viele soziale Kontakte, aber ich freue mich, wenn ich spüre, dass ich einen wertschätzenden Austausch mit anderen initiieren kann. Es muss auch gar nicht immer Deep Talk sein. Ich habe gemerkt, dass selbst ein paar nette Worte – zum Beispiel, wenn man sich auf seiner Morgenrunde begegnet – das Gefühl stärken, mit der Erde und den Menschen darauf verbunden zu sein.

👉 Kleinigkeiten für andere tun. Neuere Ergebnisse aus der Gehirnforschung zeigen, dass sich Freundlichkeit und Empathie stimulierend auf die Bereiche des Gehirns auswirken, die für Genuss und Belohnung zuständig sind. Eigentlich ganz logisch, denn jedes Mal, wenn wir etwas für andere tun, spüren wir, dass wir nicht bloß die Gebenden sind, sondern gleichzeitig auch etwas bekommen: Wärme, Verbundenheit, Vertrautheit, Gemeinschaft.

👉 Selbstmitgefühl zeigen. Eigentlich meine ich hier dasselbe wie im Absatz zuvor – nur bezogen auf das eigene Ich. Freundlich und nachsichtig mit uns selbst umzugehen, ist genauso wichtig, wie andere Menschen freundlich zu behandeln. Wenn wir das Gefühl haben, nicht gut genug zu sein, uns für Fehler heftig zu kritisieren und uns zu schämen, ist das der Moment für Selbstmitgefühl. Fragen wir uns dann: „Was würde ich einer Freundin/einem Freund jetzt sagen?“ Selbstmitgefühl macht uns nicht faul und träge. Und es ist auch nicht dasselbe wie Selbstmitleid. Selbstmitgefühl macht zufrieden und gibt uns die Werkzeuge an die Hand, uns selbst und andere zu empowern. Hier erfährst du mehr darüber.

👉 Stress reduzieren. Überforderung und Stress kann unserer inneren Zufriedenheit einen großen Dämpfer verpassen. Solche Stressoren können unter anderem sein: Ungelöste innere und äußere Konflikte; traumatische Erlebnisse; die aktuelle Weltlage; ungesunde Verhaltensmuster, die wir uns angeeignet haben; permanente Reizüberflutung; negative Gedankenschleifen; Vergleiche mit anderen. Es ist wichtig, die eigene mentale Gesundheit ernst zu nehmen! Gefühle sollten gefühlt werden statt sie wegzudrücken, wenn sie unbequem werden. Das schafft man nicht immer allein und das darf so sein. Mir hilft Therapie dabei, ungesunde Glaubenssätze zu hinterfragen und zu transformieren.

👉 Dankbarkeit üben. Drücken wir unsere Dankbarkeit für das aus, was wir haben statt immer wieder auf das zu schauen, was fehlt. Das kann in Gedanken sein oder durch Journaling oder gegenüber einer anderen Person. Eine gute Übung ist die „Drei gute Dinge“-Praxis: Am Ende eines Tages notiere ich mir oft drei Dinge, für die ich am jeweiligen Tag dankbar war. Besonders an schlechten Tagen ist dies ein wertvolles Ritual für mich, um wieder in Balance zu kommen.

👉 Zeit in der Natur verbringen. Zeit im Grünen zu verbringen beschäftigt unseren Geist auf eine angenehme Weise und hilft uns aktiv dabei, Stress abzubauen und uns zu erden. Eine Studie ergab, dass nur 20 Minuten im Grünen bewirken können, dass unser Level an Stresshormonen wie Cortisol signifikant verringert wird.

👉 Neugierig bleiben. Wir müssen die Möglichkeit haben, uns auf dem einen oder anderen Gebiet ausleben und ausdrücken zu können. Das muss nicht zwingend der Traumjob sein. Wir können selbst etwas schaffen und neue Dinge ausprobieren, so wie wir es als Kinder getan haben. Ich glaube ohnehin, dass Erwachsene einfach nur große Kinder mit den gleichen Bedürfnissen von früher sind. Ein neues Hobby ausprobieren, eine Sprache lernen, eine andere Kultur kennenlernen, ein neues Kochrezept ausprobieren, kreativ sein – es klingt banal, aber diese Kleinigkeiten reichen oft schon aus, um unseren Durst nach neuen Erlebnissen zu stillen.

Du bist dran:

💬 Beantworte in den Kommentaren die Frage: Was bedeutet für dich Glück? Was unternimmst du konkret, um deine innere Zufriedenheit zu stärken?


Quellen:

1: DESPERATELY SEEKING HAPPINESS: VALUING HAPPINESS IS ASSOCIATED WITH SYMPTOMS AND DIAGNOSIS OF DEPRESSION; by Brett Q. Ford, Amanda J. Shallcross, Iris B. Mauss, Victoria A. Floerke, and June Gruber 👉 Zur Studie

2: Mice experiments explain how addiction changes our brains 👉 Zum Artikel

Schlagwörter: / / / / / /