Wie definierst du eigentlich Arbeit? Soll Arbeit Spaß machen? Oder ist sie nur ein Mittel, um unsere faule und nichtsnutzige Natur durch Disziplin in den Griff zu bekommen? – Kein Witz, die letzte Frage ist tatsächlich eine Weltanschauung, die uns unbewusst immer noch prägt.

Das sagt zumindest Prof. Dr. Peter Nieschmidt, der Managementseminare zum Thema Arbeit und Führung hält. Einen seiner Vorträge habe ich vor einiger Zeit auf Youtube gesehen und war begeistert: Weil Nieschmidt tiefer in die Psyche des Deutschen einsteigt und erklärt, wie sich unser Verständnis von Arbeit entwickelt hat, sind seine Ausführungen für uns alle sehr aktuell. Und dabei ist er sogar richtig unterhaltsam und nahezu erleuchtend. Das Video ist unten verlinkt.

Die drei Weltbilder

Hier ein kleiner Einstieg in die geschichtliche Entwicklung von Arbeit. Prof. Dr. Peter Nieschmidt geht in den ersten Minuten seines Vortrags darauf ein, wie wir alle zu unserem Verständnis von Arbeit gelangt sind. Das ist eine Zeitreise bis ins tiefste Mittelalter und noch heute ist unsere ganze Mentalität geprägt davon. Nieschmidt zufolge gibt es in Zentraleuropa grob gesagt drei Weltbilder, die unser Verständnis von Arbeit geprägt haben. (Im Video: Minute 2:30)

1. Das katholische Verständnis von Arbeit:
“Ora et labora” (“Bete und arbeite”). 95% der Arbeit findet bis ins hohe Mittelalter in der Landwirtschaft statt. Hier wird Arbeit immer als soziale Interaktion verstanden. Jegliche Form von Arbeit ist als Dienst im Sinne der Nächstenliebe zu verstehen und hat nichts mit Knechtschaft zu tun. (Siehe Video unten, Minute 2:40; 7:35).

2. Das lutherische Verständnis von Arbeit:
Luther reformiert das katholische Verständnis von Arbeit grundlegend. Er sagt: Beruf kommt von Berufung. Das heißt: Nicht nur der Priester ist berufen, sondern jeder Gläubige. Kein Beruf ist ehrenvoller oder sittlich höher stehend als der andere. Jeder soll vor Gott gewissenhaft die bestmögliche Leistung abliefern. Pflichterfüllung wird zum Sinn des Lebens. (Siehe Video unten, Minute: 5:35)

3. Das calvinistische Verständnis von Arbeit:
Seit der Renaissance entwickelt sich immer mehr der Kapitalismus. Gewinnorientiertes Arbeiten erhält mit Calvin eine religiöse Legitimation, denn wirtschaftlicher Erfolg ist nun ein Zeichen für die Gnade Gottes. Arbeit als Mittel zur Bedarfsdeckung gerät in den Hintergrund; das Arbeitsleben wird immer härter und ist komplett auf wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtet. Calvin erklärt außerdem, dass Arbeit unerlässlich ist, um unsere “natura corrupta” in den Griff zu bekommen. Nach seinem Verständnis ist das menschliche Wesen komplett verdorben und neigt zur grenzenlosen Faulheit und Müßiggang. Durch harte Arbeit soll dem Menschen also Disziplin eingetrichtert werden. (Siehe Video unten, Minute 10:00)

Soweit der geschichtliche Einstieg.

Und heute?

Wie ist sieht unser heutiges Verständnis zum Thema Arbeit aus? Der religiöse Charakter von Arbeit wurde natürlich immer mehr in den Hintergrund gedrängt: Der Handel sollte sich ungehindert entfalten, es entsteht die freie Marktwirtschaft ohne staatliche Eingriffe. Und so weiter und so fort, wissen wir alles.

Und doch: Wenn ich mich in meinem Umfeld umsehe, empfinde ich es oft so, dass die einen Arbeit als immer noch als Knechtschaft ansehen (was teilweise sicherlich auch stimmt) – die anderen als persönliche Entfaltung. Die Arbeitsauffassung von ehrbarem Handwerk und Pflichterfüllung findet man also immer noch, nicht wahr? Man nehme nur die preußischen Tugenden, aus denen sich die deutschen Tugenden ableiten. Sie gründen sich auf der protestantisch-calvinistischen Moral: Ordnung, Fleiß, Bescheidenheit. Härte, Pflichtbewusstsein und Disziplin.

Na, kommt uns das bekannt vor? Bei mir erzeugt das sofort das Bild von Akkordarbeit nach Stechuhr. Und bitte nicht die Mittagspause überziehen! Wir sind ja nicht zum Spaß hier (Buchtipp hierzu: Anleitung zum Müßiggang – Tom Hodgkinson).

„Jemand, der nicht morgens um 6 Uhr putzmunter aus dem Bett springt und zur Arbeit hechtet, ist faul. Denn: Morgenstund hat Gold im Mund. Wissen wir doch alle.“

Diese Eigenschaften sind tief in uns verwurzelt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir nach dem Motto leben: „Arbeit muss weh tun, sonst ist es keine Arbeit.“

Diese Einstellung bemerke ich manchmal sogar bei mir selbst. Ich mag meine Arbeit als Designerin! Bei manchen Sachen, z. B. wenn ich etwas für einen Bekannten gemacht habe, denke ich: “Darf ich dafür jetzt überhaupt Geld nehmen? Es war doch mehr Spaß als Arbeit, oder?!” Eine wirklich sehr verschrobene Art zu Denken.

Nun weiß ich aber immerhin, woher diese Denkweise kommt. Ich persönlich sehe meine Arbeit gar nicht so richtig als Arbeit an, denn sie macht mir Spaß und ich deshalb mache ich sie gern. Deswegen brauche ich auch nicht permanent Abstand oder Urlaub von ihr. Geld nehmen muss ich dafür aber dennoch. Letztlich muss nämlich irgendetwas meine Miete bezahlen. (Mehr zu diesem Thema lesen: Wie man seine Leistung richtig darstellt und sich traut, Geld für sein Werk zu nehmen.)

Genau dieses Mindset erklärt natürlich auch, warum man schnell schief angesehen wird, wenn man es wagt anders zu denken: Wenn ich beispielsweise in einem Gespräch erwähne, dass ich erst um 10 Uhr aufstehe und spät anfange zu arbeiten, ernte ich nicht nur ungläubige Blicke, sondern manchmal auch ein Augenrollen mit der Bemerkung: “Naja, muss ja jeder selbst wissen.” Oder ich erkenne puren Neid.

Aber wie auch immer: Es scheint völlig egal zu sein, dass ich genauso lang arbeite wie andere. Manchmal sogar am Wochenende. Oder dass ich vielleicht sogar in weniger Zeit mehr schaffe und effizientere Prozesse habe. Ich bin sofort als nachlässig und faul gebrandmarkt. Das stört mich nicht weiter, schließlich habe ich Erfolg mit meiner Arbeit. Die Reaktionen zeigen mir aber, dass die drei oben erwähnten Weltbilder tatsächlich real sind. Der Generation unserer Eltern steckt dieses Denken vermutlich aber noch tiefer in den Knochen als uns:

„Reiß dich zusammen und sei schön fleißig.“

Natürlich wählt jeder seinen Beruf nach seiner persönlichen Neigung aus. Aber zu erwarten, dass man sich dann auch persönlich entfalten darf und man gar das Privatleben über die Arbeit stellt – das ist vielen fremd. Jeder stellt andere Anforderungen an Arbeit und das ist auch okay so. Am wichtigsten finde es aber, dass man zu jeder Zeit weiß, warum man etwas tut. Arbeiten um der Arbeit willen und sich an die eigenen Grenzen zu wirtschaften, ist sicherlich nichts Erstrebenswertes.

Jetzt bist du wieder gefragt: Was erwartest du von deiner Arbeit? Jede Meinung ist erlaubt!


Mitarbeiterführung auf dem Prüfstand -- Führungshandeln statt Führungstechniken 1/2

Es reicht die ersten 30 Minuten anzuschauen, danach werdet ihr mit einem Schmunzeln auf den Lippen wissen, warum wir so sind wie wir sind und warum Arbeit in Deutschland hauptsächlich als Pflicht und nicht als Spaß angesehen wird. ;)

Eine kleine Anmerkung von mir: Wer noch mehr über die geschichtlichen Hintergründe erfahren möchte, kann sich hier noch viel Zusatzwissen anlesen: Calvinismus, deutscher Idealismus, Hegel. Ich bin bewusst nicht so sehr in die Tiefe gegangen, weil es mir um den persönlichen Aspekt geht (“Wie empfinde ich Arbeit?”).

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