Wenn ein Kind auf die Welt kommt, braucht es einen rund um die Uhr. Und das fühlt sich für viele dann so an wie: „Alles muss, nicht kann.“ – Wie kommen eher introvertierte Eltern damit  zurecht? Gibt es irgendwelche Tricks und Kniffe, mit denen sich Eltern mehr Atempausen verschaffen können?

👉 Meine Kollegin Isabell ist Journalistin, Mutter einer kleinen Tochter und seeehr introvertiert. Jetzt hat sie ein Buch über ihre Elternzeit geschrieben und wie sie eine völlig neue Balance zwischen Kind, Arbeit, Lernen und Freizeit gefunden hat. Darüber spricht sie in dieser neuen Folge Still & Stark.

„Das Bedürfnis nach Ruhe und Alleinsein ist wie Hunger oder Durst. Das lässt sich nicht abstellen.“

– Still & Stark Folge 67

Beim Zuhören wird man schnell merken, dass wir beide aus ganz unterschiedlichen Perspektiven auf dieses Thema blicken. Man merkt, dass ich keine Kinder habe, eine totale Overthinkerin bin – und durch mein Umfeld zu dem Bild von Elternschaft gekommen bin, dass Kinder einem scheinbar sämtliches Leben aussaugen. Und auf der andere Seite Isabell, die mit einer entspannten Selbstsicherheit auftritt und ein prima System für sich entwickelt hat, um ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen anzuerkennen.

Das kannst du aus Folge 67 für dich mitnehmen

😵 … wie man das „Ich komme zu nichts“-Gefühl auflöst
💡 … wie wir Fähigkeiten aus dem Job in der Familie nutzen können
🌟 … welche Superkräfte introvertierte Eltern haben

🎁 Extras: XXL Leseprobe aus Isabell Prophets neuem Buch: „Das Eltern Zeit Buch: Mehr Freiraum, mehr Glück, mehr Leben im ersten Babyjahr

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Buchtipp aus Episode 67: Mehr Freiräume für introvertierte Eltern

„Das Eltern Zeit Buch: Mehr Freiraum, mehr Glück, mehr Leben im ersten Babyjahr“, von Isabell Prophet, mit Illustrationen von Luise Wolf

Extra für Still & Stark Hörer:innen – XXL Leseprobe

Du hast Zeit

Fühlst du dich vom Titel ausgenommen? Alle haben Zeit – du als Elternteil aber nicht mehr? Das fühlt sich ungerecht an und sehr einsam. Ich bin aber überzeugt, dass wir das ändern können. Du hast jetzt keine Zeit für dich, aber wir werden welche finden.

»Das Eltern Zeit Buch« ist dafür da, ein Gefühl für Freizeit und Freiraum zu schaffen. Und um die Freiheit geht es, denn sie ist es, deren Verlust viele von uns schon betrauern, bevor wir überhaupt Eltern werden. Lass uns schauen, ob du nicht doch Zeit hast. Und wenn du keine hast: ob wir nicht welche schaffen können. Das ist wichtig, denn Elternschaft ist ein verdammt harter Job. Ich werde ihn in diesem Buch mit Hochleistungssport vergleichen – die Symptome, wenn Phasen der Erholung fehlen, sind ähnlich. Leider ist der Mangel an Erholung ein Kernfeature unseres ersten Jahres als Eltern. Aber das können wir ändern.

Gefüllt, aber nicht erfüllt

Ich komme zu nichts mehr. Das war das Gefühl, das die ersten Monate meiner Elternzeit prägte. Dabei ist »Ich komme zu nichts« ein Gefühl, an das ich nie geglaubt hatte. Babys schlafen doch ständig, oder?

Selbst kleine Kleinkinder halten Mittagsschlaf – ich sollte alles schaffen. Nur dass »schaffen« nicht mein Problem ist. Ich schaffe Dinge. Das Haus steht, man kann in sauberen Kleidern auf dem Boden sitzen und hier krabbeln keine (unerwünschten) Lebewesen herum. Und ich muss das Elternleben gar nicht allein schaffen, denn wir haben eine dieser modernen Beziehungen, in der man sich nicht gegenseitig ausbeutet. Alles prima also an dieser Stelle. Es ist nicht die Arbeitsmenge. Es ist nicht die Zeit, es ist nicht einmal die fehlende freie Zeit. Denn die gibt es ja. Babyschlaf ist auch deshalb so wichtig, weil ich die Zeit für mich brauche. Babys und kleine Kinder schlafen viel – nur leider nicht zuverlässig.

Und das ist das eigentliche Problem: Ich habe das Gefühl, keine Zeit zu haben, weil ich zu Beginn einer Pause nie weiß, wie lange sie dauern wird. Habe ich eine Stunde? Dann könnte ich lesen, mich in die Badewanne legen, nach harten Nächten Schlaf nachholen oder mich in den Lernstoff meines Fernkurses vertiefen. Habe ich alles oft probiert, hat oft funktioniert und manchmal nicht, weil meine Tochter unerwartet früh wieder aufwachte. 

Und diese Manchmals sind hängen geblieben.

Bis ich es irgendwann nicht mehr probierte. Irgendwann behandelte ich jeden der wertvollen Momente für mich, als verschaffte er mir nur fünfzehn Minuten Atempause. Meine Tochter schlief, ich hatte Ruhe, aber ich kam nicht mehr bei mir selbst an. Also verdaddelte ich die Zeit und dann war sie vorbei.

Ich habe früh gelernt, dass von mir nur noch die Mama übrig bleibt, wenn ich mich zu lange im Baby-Alltag-Überlebensmodus befinde. In diesem Modus bin ich eine tolle, aufopferungsvolle Mutter – nur leider als komplexer Mensch nicht mehr anwesend. Als hätte ich alles, was mich sonst noch ausmacht, in den Hintergrund gedrängt und zum Schweigen gebracht, damit in harten Wochen niemand dazwischen quatscht.

»Ich«, das ist aber eigentlich mehr. Ich, das ist jemand, der in seiner Freizeit Dinge tut. Für sich selbst, nicht für den Haushalt und nicht nur vor einem Display.

Ich hatte genügend Zeit.

Ich habe nur nichts aus ihr gemacht.

Nach einem Dreivierteljahr hatte sich eine so gewaltige emotionale Erschöpfung aufgestaut, dass alles, was mich einst ausgemacht hatte, von ihr erstickt wurde. Wenn ich am Abend reflektierte, wie ich den Tag verbracht hatte, war die verdaddelte Zeit längst aus meinem Gedächtnis verschwunden. Und ich hatte – gefühlt – nur das Familienleben verwaltet, einsam und überfordert, körperlich wie emotional. Ich konnte nicht denken, nicht entspannen, nicht genießen, ich konnte nicht atmen oder die Augen schließen, weil dann immer gleich irgendwas passierte, bei dem ich eingreifen musste. Oder zumindest dachte ich so. Ich fühlte mich machtlos. Ich konnte nicht mehr leben. Von mir war nichts mehr da, ich war leer und die Hülle fühlte sich auch nicht mehr gut an.

So viel Leere kann verdammt anstrengend sein, deshalb gilt für Arbeitnehmer nicht nur Burn-out, das Ausbrennen, als Gefahr, sondern ebenso der Bore-out, vom englischen Verb to bore – langweilen. Langeweile kostet uns Kraft. Und während der »Mami-Burn-out« schon längst erkannt ist, müssen wir endlich über den Bore-out sprechen. Und ja, beides kann gleichzeitig auftreten. Denn seien wir ehrlich, es ist anstrengend, aber wenig stimulierend, den Tag mit einem Baby zu verbringen. Der Tag mag gefüllt sein. Erfüllt ist er nicht.

Meine Familie zog die Notbremse, als ich einige Tage lang schon morgens nur noch an der Wand lehnte und leer auf den Boden starrte. An einem Tag im November stand ich nicht mehr auf. Mein Freund blieb in den folgenden Monaten je einen Tag in der Woche zu Hause, ich meldete mich zu einem Fernkurs über Inneneinrichtung an und machte aus »Sport, wenn ich Zeit habe« ein rigoroses »Sport dreimal die Woche und das Baby schaut zu«-Programm. Das half, war aber nicht die Lösung für mein Gefühl der Leere. Nun war ich leer mit Muskelkater, zufriedener, aber gefühlt nicht menschlicher. Ich brauchte nicht nur Entlastung, ich brauchte vor allem: Freiraum. 

Freiraum können wir definieren als Zeit, die das betreuende Elternteil zur Verfügung hat, ohne zwingende Bedürfnisse erfüllen zu müssen. Freiraum ist die Zeit zwischen Rausschleichen aus dem Kinderzimmer und dem nächsten Schrei. Diese Zeit müssen wir lernen, zu gestalten. Bewusst. Denn das ist das wahre Geheimnis der Freizeit: Sie ist sofort verloren, wenn wir sie einfach vorbeiziehen lassen. Die nahe liegende Freizeitgestaltung ist immer Hausarbeit, die einfachste immer das Smartphone.

Arbeitsteilung ist untrennbar mit deinem Freiraum verknüpft. In einer Partnerschaft ist Erholung manchmal ein Tauschgeschäft, auf jeden Fall eine Frage der Kooperation. Wenn du das Gefühl hast, die Sorgearbeit sei unfair verteilt: Arbeitet daran! In diesem Buch findest du einige Methoden, die euch dabei helfen. Hier geht es um dich und deine Familie und wie du dich in diesem Kreis bewegst. Platon soll gesagt haben: »Durch Erziehung wird der Mensch erst wahrhaftig Mensch«, und darum geht es. Dir Raum zu schaffen, damit du Mensch sein kannst. Dies ist ein Buch, mit dem du dich neu organisieren kannst. Dieses Buch ist nicht dazu da, dir einfache, möglichst allgemeingültige Lösungen zu servieren. Wenn etwas für deine Familie nicht passt: Gib nicht auf. Finde heraus, was genau dich stört und wie du es ändern kannst.

Oft liegen Probleme in den Strukturen des Alltags. Ich muss beruflich oft Dinge strukturieren und hier ist mein Geheimnis: Die Grundlage jeder Strukturierung, ist die Entscheidung, strukturieren zu wollen. Struktur braucht keine verlässlichen Bedingungen. Es gibt in dieser Welt keine verlässlichen Bedingungen. Für nichts und als Allerletztes für Eltern. Struktur bedeutet, eine Idee davon zu haben, was passieren kann, aber nicht muss. Struktur bedeutet, zu wissen, wann wir wie reagieren. Und zwar nicht nur auf die Katastrophen, sondern auch auf das Unerwartetste, das im Familienalltag über uns kommen kann: eine Pause.

Dies ist kein Ratgeber für Kindererziehung. Was bei der Arbeit mit diesem Buch passiert, hat nichts damit zu tun, mehr oder weniger bindungsorientiert zu handeln, diszipliniert oder antiautoritär zu erziehen. Ein Teil deiner Zeit mit deinem Kind mag sich aber ändern. Ich habe einige Regelmäßigkeiten meines Alltags aus den Schlafphasen meiner Tochter in unsere gemeinsame Zeit verlegt, Sport und Wäschesortieren zum Beispiel. Beides macht meine Tochter neugierig, sie schüttet sich aus vor Lachen, wenn ich meine halben Liegestütze (runter, aber nicht wieder hoch) mache und sie trägt mit Freude unsere Socken durchs Haus oder legt Handtücher in Wäschekörbe. Wenn sie schläft, mache ich etwas mit scharfen Gegenständen oder etwas für mich.

Und darum geht es. Anstatt mich weiterhin innerlich selbst zu bekämpfen, suchte ich nach einer besseren Organisationsstruktur für unsere Familie. Eine, die auf den Bedürfnissen aller aufbaut und den Mental Load klug verteilt. Eine, die flexibel ist, aber Routinen enthält, in denen ich Aufgaben und Haushalt verstecken kann. Der Gewinn kommt dann von ganz alleine: Spiele ich mit meiner Tochter, bin ich entspannter, liebevoller, zugewandter und gleichzeitig näher bei mir selbst. Glücklicher. Fröhlicher. Und das spürt sie.

Dieses Buch ist für Eltern eines Babys oder sehr junger Kleinkinder. Ich habe es für dich geschrieben, wenn du dich abends manchmal fragst, wo deine Lebenszeit geblieben ist. Dieses Buch ist für Mütter und Väter, geschrieben aus der Perspektive einer Frau, die, mit ein paar Unterbrechungen, bis zum 18. Lebensmonat ihrer Tochter in Elternzeit war. Mein Freund war fünf Monate zu Hause und arbeitete einige Monate in Teilzeit. 

Ich weiß, Eltern haben wenig Zeit, deshalb fragst du dich wahrscheinlich, was dieses Buch dir geben soll. Ich fasse kurz zusammen:

Im »Eltern Zeit Buch« geht es um deinen Freiraum im Alltag. Wir schauen uns an, wie du deine Zeit bewusster genießen kannst – ohne sie nur zu füllen. Wir vermehren deinen Freiraum, ohne dass du deiner Familie Zeit wegnimmst. Ja, das geht. Vertrau mir, es geht auch bei dir.

Außerdem erzähle ich über Freizeitgestaltung, die Kraft gibt und Freude bereitet, statt Energie zu kosten. Du selbst schaffst dir eine Struktur, mit der euer Familienleben für dich besser funktioniert. 

Hier geht es ausnahmsweise mal nicht darum, eine gute Mutter, Freundin, Arbeitnehmerin oder irgendwas zu sein. Hier geht es nur darum, ein gutes Ich zu sein. Ein Ich, das du gerne bist. Vielleicht wünschst du dir öfter, dass andere dir mehr zuhören. Und das ist legitim, fordere das ein. Aber hör dir auch selbst zu. Ich werde dir viele Fragen stellen und ein paar Übungen vorschlagen, mit denen du die Veränderung einleiten kannst.

Und wenn du dir jetzt absolut nicht vorstellen kannst, dass das gelingt, dann bleib bitte hier. Denn dann hast du wirklich mehr Freiraum verdient. Und du wirst ihn bekommen.

Wir haben jetzt Kinder. Die Freizeit wird nie wieder freiwillig zu uns kommen. Vergiss das. Dein altes Leben ist weg, darüber sprechen wir gleich. Aber das macht nichts, du hast ein neues. Und in diesem neuen Leben bist du gefordert, dir Freiraum zu nehmen und etwas mit ihm zu machen. Du hast das Recht, dich selbst glücklich zu machen. Und das üben wir jetzt.

Wo die Zeit geblieben ist

3 Stunden, 56 Minuten. So viel Freizeit haben Deutsche im Schnitt – pro Tag. Echte Freizeit, Zeit, in der die Kinder versorgt, die Küche geputzt und die E-Mails beantwortet sind. Fühlt sich nicht so an? Tja. Willkommen in (fast) jedermanns Welt. Freizeit ist das, was wir vergessen, wenn wir versuchen, alles zu bedenken. 

Wir können wohl davon ausgehen, dass junge Mütter in Elternzeit eher am unteren Ende der Statistik rangieren, doch wenn wir ehrlich unsere Zeit messen, dann bleibt an einem normalen Tag wirklich erstaunlich viel übrig. 

Die Elternzeit ist eine besondere Phase im Leben. Wir sind allein mit einem kleinen Wesen, das wir gerade erst kennenlernen und für das wir alles sind, was es kennt. Das ist anspruchsvoll, egal, ob du zwei Monate zu Hause bleibst oder zwei Jahre. Hart und schön. Erschöpfung und Liebe. Zwanglos und voller Zwänge. Emotional aufgeladen und ideologisch auch. Schlafmangel und ein gewaltiges kreatives Potenzial, jedenfalls theoretisch. Die Elternzeit ist eine Zeit, in der wir ständig etwas müssen, aber viele Dinge unseres Alltags als Teil der Erwerbsbevölkerung gerade nicht müssen. Dieses Leben kommt – verändert – wieder. Noch aber nicht.

Die Statistik zur Freizeit hatte mich nachdenklich gemacht. Fast vier Stunden am Tag, das klingt wahnsinnig viel. Andererseits, kleine Momentaufnahme aus der Zeit, als meine Tochter elf Monate alt war: Selbst an richtig harten Abenden war sie gegen 20 Uhr im Bett, ich gegen 22.30 Uhr. Machte also mindestens 2,5 Stunden allein am Abend. Dazu kam der Mittagsschlaf mit ungefähr 90 Minuten. Und schon waren die vier Stunden voll, und an guten Tagen sind es mehr als fünf.

Fünf Stunden frei?

Ich fühlte mich nicht wie ein Mensch, der fünf Stunden frei hat.

Ich fühlte mich wie ein Mensch, der morgens aufwachte, fünf Stunden lang das Leben anderer organisierte, dann eine kurze Pause hatte, um »in Ruhe« ein paar Dinge zu erledigen, bis es weiter ging; noch mal knapp fünf Stunden Action bis zum sogenannten Feierabend, wenn ich aufräumte und das Haus für den nächsten Tag vorbereitete. Das fühlte sich kein bisschen an, als hätte ich Zeit.

»Dafür hätte ich gar keine Zeit«, sagt eine Bekannte von mir, und zwar wirklich unangenehm oft, wenn ich von meinem Tag erzähle. Als hätte ich so viel mehr Zeit als sie. Dieser Satz macht mich sauer. Mein Leben ist weder einfacher noch härter als das der Durchschnittseltern. Wir haben alle zu tun. Vor ein paar Wochen bezog sie sich auf meinen selbst gemachten Brotaufstrich – Zeitaufwand: etwa sechs Minuten. Besagte Bekannte ist im Schützenverein, backt für ihre Kinder Marzipan-Motiv-Torten und läuft jeden zweiten Vormittag eine Stunde über Feldwege. Dafür hat sie also Zeit. 

Aber das muss sie selbst wissen, genau wie ich selbst wissen muss, ob ich Brotaufstrich zusammenrühren will oder es bleiben lasse. Denn die Wahrheit über diesen Satz »Ich habe keine Zeit dafür« ist eine Entscheidung: Ich nehme mir keine Zeit dafür. Ich mache etwas anderes mit meiner Zeit als du. Das ist in Ordnung. Und bitte: Lasst uns diese Entscheidung einander zugestehen. Wenn ich dir nun alles aufliste, was ich in einer Woche so treibe, wirst du entsetzt das Buch weglegen und sagen: Die hat so viel Zeit, das könnte ich eh nie schaffen. Aber wenn du mir sagst, was du so machst, dann ginge es mir genauso (und ich würde dir dieses Buch wegnehmen). Wir alle haben Zeit für Dinge und vielen von uns fehlt dennoch genau diese Zeit. Weil wir doch mehr wollen, aber mehr meist bedeutet, dass wir woanders etwas streichen müssen.

Für den Freizeitmonitor1 befragt die Stiftung für Zukunftsfragen regelmäßig Deutsche. 2019 sagten 58 Prozent der Befragten: »Irgendwas kommt immer zu kurz.« 46 Prozent sagten, sie würden nicht machen, was sie wirklich wollen. 42 Prozent sprechen davon, ihre Freizeit zu vergeuden. Und 40 Prozent sagten, sie bekämen ihren Hintern nicht hoch. 

Da ist die Freizeit.

Sie ist da. Wir können sie sehen. Aber wir greifen nicht nach ihr. Weil wir zu fertig sind und weil wir uns nicht besser organisiert kriegen. Das ist erstaunlich, wenn man bedenkt, was wir im Leben alles organisieren müssen.

Doch in der Babyzeit müssen wir erst einmal viel lernen. Wir sind Anfänger in dieser Lebenssituation. In diesem Status liegt viel Chaos, viel Überforderung – aber auch Freiheit: Wir dürfen Fehler machen. Wir dürfen uns übernehmen, nachjustieren, lernen. Und wir alle müssen akzeptieren, dass wir am Beginn der Elternschaft nicht die Fähigkeiten haben, alles so perfekt zu meistern, wie wir uns das mal ausgedacht hatten. 

Erwachsene mit Kindern sind wahre Meister darin, Dinge zu organisieren. Aber noch nicht in den ersten Monaten. Wie denn auch? All die Erfahrung, die uns später zu guten Eltern machen wird, die müssen wir jetzt erst einmal sammeln.

Die Elternzeit muss kein notwendiges Übel zwischen zwei Karrierephasen sein. Sie muss nicht reduziert werden auf die Pause, die deine Rente mindert und deine Beförderung verzögert. Die Elternzeit ist deine Chance, nach deinen Bedürfnissen zu leben. Ich höre oft, das ginge nicht, weil die Bedürfnisse des Babys so wichtig sind. Das sind sie. Aber das wird dich an einem normalen Tag weniger einschränken, als ein Job es tut. Weil du die Kontrolle über dich selbst hast. 

Völlig frei bist du nicht, und dem kannst du nachtrauern. Du kannst es aber auch lassen. Menschen sind nicht frei. Niemand ist frei, Kind hin oder her. Wenn du für einen Moment so tun kannst, als sei das in Ordnung für dich, hast du plötzlich sehr viele Möglichkeiten – und relative Freiheit. Das kann sich gut anfühlen. Und du kannst, wenn du Lust hast, ganz schön viel aus dir selbst und deiner Zeit machen.

Zeit ist machbar

»Ich mache mir Gedanken über den Kontrollverlust«, sagte mir eine Unternehmerin, als sie schwanger wurde. Diese Sorge fühlt sich vertraut an. Zeit findet nur, wer sein Leben unter Kontrolle hat. Als Eltern kontrollieren wir unser Leben, unsere Tagesabläufe nicht mehr selbst. Wir entscheiden nicht einmal bewusst, einen Teil unserer Kontrolle abzugeben. Mit »du hast es dir so ausgesucht« hat das nichts zu tun. Ich habe mir nicht ausgesucht, an vier oder fünf Tagen in der Woche mit meiner Tochter allein zu Hause zu sein. Das haben die Lebensumstände so gemacht: Mein Partner arbeitet, unsere Eltern leben weit entfernt, den Kitaplatz bekam unsere Tochter erst mit 17 Monaten. Mein Freund hat sich nicht ausgesucht, auf einer Streckbank zwischen Geld verdienen und Familienleben eingespannt zu sein.

Aber Kontrollverlust?

Wir verlieren die Kontrolle nicht. Ich weiß, das wird immer so gesagt, aber es stimmt einfach nicht. Wir haben einen neuen Faktor, den wir beachten müssen. Zugegen, er ist recht groß: Da ist ein neuer Mensch in unserer Familie, ein Baby. Das Baby verhandelt nicht. Es fordert nur. Und wir geben und lieben und geben und lieben. Und wenn geben und lieben mal nicht reicht, dann trösten wir, was auch manchmal nicht reicht und dann trösten wir weiter, bis es reicht. Wenn du bei Kontrollverlust daran denkst, dass du nun nicht mehr die Wahl hast, dann ja: Du verlierst einen Teil deiner Kontrolle. Frag dich aber ruhig mal, wie viel Kontrolle über deinen Tagesablauf du vorher hattest. Du hattest einen Job, du hattest Netflix, du hattest Hunger. Das ganze Leben ist eine Aneinanderreihung von Kontrollverlust und mit Kind ändert sich daran einiges so massiv, dass es uns wie ein Verlust vorkommt. Doch in Wahrheit ist es nur eine weitere Veränderung, eine unter vielen im Leben: Von der Betreuung deiner eigenen Eltern als du Kind warst zu den ersten Tagen im Kindergarten, vom Kindergarten in die Schule, von der Schule in die Berufsausbildung und dann in den ersten Job – das hatte alles nicht die gleiche emotionale Größenordnung, wie die Geburt des ersten eigenen Kindes. Aber trotzdem hast du schon Veränderungen deiner Kontrolle erlebt und du bist damit klargekommen. Das schaffst du auch noch einmal.

Während meiner Schwangerschaft dachte ich, ich müsste mein Kind unter Kontrolle bringen, um Zeit für mich zu finden. 

Wie falsch ich lag.

Das Problem lag nicht in meinem Bauch. Es lag in meinem Kopf.

Ich war in der Schwangerschaft überwiegend krank und danach mit meiner Tochter in Elternzeit, verdiente also rund zwei Jahre lang kein Geld. Mein einziger Job war es, meiner Tochter beim Start ins Leben zu helfen. Ein wichtiger, fordernder Job, ein Job voller Liebe und Tränen. Aber eben einer, der nicht direkt dazu beitrug, unsere Miete zu bezahlen oder die neuen T-Shirts, die ich im Sommer nach der Schwangerschaft brauchte. Deshalb fühlte es sich frivol an, zu entspannen. Falsch. Unfair gegenüber meinem Partner, der Job und Familie gleichzeitig gerecht werden musste. 

Manchmal hatte ich Zeit und schämte mich für sie. Und falls es dir ebenso geht, dann sollten wir das ganz dringend ändern. Es ist eine Grundannahme in unserer Gesellschaft, dass wir jede Zeit damit füllen müssen, wichtig zu sein. Aber diese Annahme ist falsch.

Keine Zeit zu haben ist für Berufstätige so sehr zum Gütesiegel geworden, dass wir keinen Gedanken daran verschwenden, wie wir Zeit schaffen könnten. Zu gefragt, zu wichtig für echte Freiräume sind wir, oder wären es gern. 

In der Elternzeit ist das plötzlich ganz anders. Das ganze Zeitgefüge ist auf den Kopf gestellt. Plötzlich ist Zeit da, wir können nur nicht mehr frei über sie entscheiden, sie folglich auch nicht mit Dingen füllen, bei denen wir uns wichtig fühlen.

Es geht nicht darum, Zeit besonders effizient oder klug zu nutzen. Es geht nicht einmal darum, Zeit irgendwie zu nutzen. Es geht mir nur darum, dass wir unsere Zeit so verbringen, wie wir sie verbringen möchten. Erst einmal geht es nur darum, dass du machst, was du willst. Das ist alles. Und oft genug klappt das nicht. 

Das fühlt sich unangenehm an.

Für mich ist das ein seltsames Gefühl. Ich bin seit vielen Jahren selbstständig und Zeitmanagement ist etwas, das ich wirklich gut beherrsche. So machte ich den ersten Schritt zu einem Leben mit sinnvoll strukturierten Tagesabläufen an einem Wintertag 2015. An diesem Tag, viele Jahre, bevor ich meine Tochter bekam, hatte ich morgens um acht mein erstes Interview als Selbstständige. Um elf Uhr kam ich nach Hause und öffnete eine Flasche Sekt. Das war eher keine gute Idee – nennen wir es »Erfahrung« –, denn natürlich passierte an jenem Tag nicht mehr viel. Aber von »selbst und ständig« hatte ich in meinem Business-Plan sowieso nichts erwähnt. »Selbst« natürlich schon – ich halte nichts davon, mich zur Managerin eines Systems von Freelancern in Niedriglohn-Ländern zu machen. Ich mache meine Arbeit gern selbst.

Nur halt nicht »ständig«.

Und genau das macht den Wert des Zeitmanagements für mich aus. Ohne Zeitmanagement arbeitet man als Selbstständige wirklich ständig, und damit meine ich von morgens bis abends und bis in die Nacht hinein. So wollte ich nie leben.

Freiraum ist für mich dann am erholsamsten, wenn ich ihn frei gestalten kann. Und meine Arbeitszeit ist am wertvollsten, wenn ich sie nur für bewusste Denkpausen unterbreche, nicht aber, um mich ablenken zu lassen. Wer als Selbstständiger nicht arbeitet, der wird nicht bezahlt. Ich kann meinen Job machen oder ich kann Zeit verdaddeln und ihn danach machen. Dazwischen liegen unbezahlte Stunden voll müßiger Ausweichhandlungen – die aber niemandem dienen, vor allem nicht mir. Ohne Arbeit kein Geld. Der Unterschied ist nur, ob ich vor dem Anbruch der Nacht in den Feierabend starte oder weit danach oder gar nicht. Aristoteles schrieb: »Wir arbeiten, um Muße zu haben.« Für mich stimmt das. Ich arbeite konzentriert und freue mich, wenn es vorbei ist.

So entstanden bald Arbeitstage, die früh morgens begannen und am Nachmittag, nach intensiver, fokussierter Arbeit, endeten. Und so entstanden Arbeitswochen, die ich freitags, nach einer kurzen Kontrollphase von ein oder zwei Stunden, beendete. Ich arbeitete genauso viel wie zu meiner Zeit als Festangestellte. Nur eben deutlich komprimierter. In der Zeit danach habe ich viel gelesen oder für neue Ideen recherchiert, unser Leben daheim organisiert, aufwendig gekocht und entspannt gegessen, Sport gemacht. Ich hatte alles so hingebogen, dass ich eine gute Mischung aus Arbeit und Freiraum hatte.

Mit Kind funktioniert das nicht mehr. Ich kann nicht konzentrierter kuscheln, fokussierter lesen und disziplinierter mit meiner Tochter spielen, um dann zeitig Feierabend zu machen. Mein Tag beginnt oft mit dem ersten Baby-Schrei und endet an ganz schlechten Tagen nach einer Dreiviertelstunde überm Kinderbett hängen, liebevoll gucken, laut und gleichmäßig atmen – und dabei angebrüllt werden. 

Danach habe ich zwar frei, aber Rückenschmerzen. Und viel zu oft das Gefühl, keinerlei Zeit für mich zu haben. Doch das täuscht. Es täuscht gewaltig, denn in so einem Tag – auch mit Kind – versteckt sich jede Menge frei gestaltbarer Zeit. Ich habe sie nur ungeschickt verbracht. Diese Zeit fühlt sich weder erholsam noch inspirierend an. Sondern wie etwas, auf das ich kein Recht habe und das ich nicht kontrollieren kann. Viel zu oft habe ich die Zeit totgeschlagen und mich dann gewundert, dass sie weg war. 

Und wenn ich meinen Freundinnen und Freunden mit Kindern so zuhöre, dann denke ich oft, dass es bei ihnen ähnlich sein könnte. Und vielleicht geht es fast jedem von uns einmal so. Wir haben so viel um die Ohren, dass wir uns in unserem Freiraum verloren fühlen. So verloren, dass wir ihn lieber schnell füllen – schnell und unbedacht. Darum ist es so wichtig, dass wir uns mit Zeitmanagement befassen. Mit Freiraum. Und mit Erholung.

Diese Dinge wirst du nach deiner Elternzeit weiterhin anwenden können. Ich habe die praxisbezogenen Abschnitte in den Kapiteln 6 und 7 einer kinderlosen Freundin gegeben und sie hat mit ihnen ihr stressiges Berufs-, Privat- und Pendlerleben ganz neu aufgestellt. 

Im Leben lernen wir ein bisschen was für die Elternzeit, ja. Aber vor allem lernen wir während der Elternzeit fürs Leben. Meine wichtigste Lektion war: Es geht nicht darum, etwas zu machen oder es nicht zu machen oder gar nichts zu machen. Du musst dich nicht selbst finden; guck mal an dir runter: Du bist schon da. Es geht nur darum, die wertvollen Momente der Stille nicht mit Unsinn zu füllen. Gestalte sie für dich. 

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Das Eltern Zeit Buch: Mehr Freiraum, mehr Glück, mehr Leben im ersten Babyjahr“*
von Isabell Prophet, mit Illustrationen von Luise Wolf

Erschienen am 26. April 2022
Gebundene, illustrierte mit 240 Seiten
ISBN-13: ‎978-3982434704
25,00 EUR

Goodies zum Abspeichern

Gedanken für mehr Freiraum
Illustration von Luise Wolf: @luiseimmerwieder
Selfcare und Elternzeit Sprüche: „Selbstlosigkeit bedeutet, dass jemand verloren geht. Nämlich du. Aber dein Kind liebt dich. Und es wird dich vermissen.“ – Isabell Prophet

Folge 67 im Webplayer

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*Gesundheitshinweis: Achte bitte stets auf eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung und eine gesunde Lebensweise. Für beste Ergebnisse täglich einen Messlöffel (12g) in kaltes Wasser auflösen und konsumieren. Außer Reichweite von Kindern aufbewahren. Schwangere und Stillende werden gebeten, vor dem Konsum jeglicher Nahrungsergänzungsmittel medizinisches Fachpersonal zu konsultieren. Die tägliche Mengenempfehlung nicht überschreiten. Die in AG1 enthaltenen Inhaltsstoffe Folat, Niacin, Pantothensäure und die Vitamine B2 (Riboflavin), B12 und B6 tragen zur Verringerung von Müdigkeit und Ermüdung bei. Zink und Pantothensäure tragen zu einer normalen geistigen Leistung bei. Die in AG1 enthaltenen Inhaltsstoffe Kupfer, Biotin, Niacin, Pantothensäure, Thiamin und die Vitamine B2 (Riboflavin), B12, B6 und C tragen zu einem normalen Energiestoffwechsel bei.

Links zu Podcastfolge 67: Mehr Freiräume für introvertierte Eltern

📖 Buch: „Das Eltern Zeit Buch: Mehr Freiraum, mehr Glück, mehr Leben im ersten Babyjahr“*, von Isabell Prophet

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Titelfoto Credits: © Kinga Cichewicz

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