Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, in der es oft darum geht, zu funktionieren. Bloß keinen Schritt zurück machen, bloß nicht ausfallen. Der Begriff der Leistung ist einer der wichtigsten unserer Zeit: schneller, höher, weiter. Dabei kann niemand von uns rund um die Uhr gleichbleibende Leistung liefern. Wir sind keine Maschinen.

Rational ist uns das sonnenklar. Aber was sagt das Unterbewusstsein dazu? Vielen Menschen fällt es wahnsinnig schwer, nachsichtig mit sich selbst umzugehen. Vor allem, wenn wir hinter unseren eigenen Erwartungen zurückbleiben.

👉 Was können wir tun, um unsere Einstellung zur unseren Leistungen ausgeglichen zu betrachten und nachsichtiger mit uns selbst zu sein?

In dieser Podcastfolge stelle ich dir eine Übung vor, die ich während eines Studienkurses an der UC Berkeley kennengelernt habe. Immer, wenn ich diese Übung mache, löst sich etwas in mir und ich bin hinterher wieder viel ausgeglichener und gehe mit einer ganz anderen Energie zurück an meine Arbeit.

Das kannst du aus Podcastfolge 36 für dich mitnehmen:

💜 Wie wir uns selbst wie eine:n Freund:in behandeln
💡 Eine wissenschaftlich fundierte Übung für jeden Tag
📚 Unsere Buchtipps zum Üben für achtsames Selbstmitgefühl

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Eine gesündere Art, mit stressigen Situationen umzugehen: Selbstmitgefühl entwickeln

Manchmal gehe ich mit mir selbst so um wie mit meinem Computer. Ich bin genervt, wenn das Teil nicht macht, was es machen soll: „Was soll das? Gestern hat doch hier alles noch funktioniert!“

Ging es dir auch schon so? Wir erwarten jeden Tag gleichbleibende Leistung von uns – dabei sind wir so viel mehr als irgendein Gerät, das nach festen Algorithmen funktioniert. Wir sind komplexe Lebewesen, die nicht einfach per Knopfdruck Leistung abliefern können. Und schon gar nicht konstant, durch ständiges Einpeitschen und Antreiben.

Eine schlechte Nacht, Hektik am Morgen, zu wenig gegessen, zu viel gegessen, ein Streit – so viele Faktoren können beeinflussen, wie leistungsfähig wir sind. Jeden Tag aufs Neue. Und wir machen Fehler. Wir treffen vielleicht nicht den richtigen Ton im Gespräch mit Kunden, wir verpatzen ein Projekt, wir vergessen ein Meeting oder oder oder. Normal.

Was würdest du einer Freundin sagen?

Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber was mir dann oft fehlt, ist Selbstmitgefühl. Es würde mir leicht fallen, freundliche, tröstende Worte an eine Freundin oder eine Kollegin zu richten:

👉 „Mach dir keinen Kopf, wir sind alle Menschen.“
👉 „Hey, kein Problem, wie kann ich dir jetzt helfen?“

Aber bei mir? Hallo Grübelattacke!

Ich habe für solche Momente eine wunderbare Übung erlernt, die ich heute mit dir teilen will. Ich habe sie während eines Kurses an der University of California, Berkeley kennengelernt und die Wirkung ist gewaltig! Die folgende Übung stammt von Kristin Neff, die als Professorin für Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung an der Universität von Texas in Austin arbeitet. Ihr Buch heißt „Selbstmitgefühl: Wie wir uns mit unseren Schwächen versöhnen und uns selbst der beste Freund werden“*.

Übung: Selbstmitgefühl statt Leistungsdruck!

Suche dir einen ungestörten Ort, an dem du dich für ein paar Minuten entspannen kannst.

Denk an eine Situation in deinem Alltag, die gerade schwierig ist und die dir Stress bereitet.

Rufe dir diese Situation ins Gedächtnis und spüre den Stress nach. Kannst du das emotionale Unbehagen in deinem Körper nachempfinden, wenn du daran denkst?

Sage nun zu dir selbst den folgenden Satz laut: „Dies ist ein Moment des Leidens.“ Das Anerkennen deiner Gefühle ist eine Form der Achtsamkeit – einfach wahrzunehmen, was für dich emotional im Moment vor sich geht, ohne die Erfahrung als gut oder schlecht zu bewerten. Du kannst auch einfach sagen: „Das tut weh“ oder „Das ist Stress“. Verwende die Aussage, die sich für dich am natürlichsten anfühlt.

Sage als nächstes zur dir selbst: „Leiden ist ein Teil des Lebens.“ Mit dieser Aussage erkennst du an, dass dich dieses Gefühl mit anderen Menschen verbindet. Es geht nicht darum, deine Gefühle zu bagatellisieren. Sondern wir alle sind Menschen, die schwierige Erfahrungen machen. Wir sind dadurch nicht abnormal oder mangelhaft. Auch hier kannst du sagen, was sich für dich am natürlichsten anfühlt: „Andere Menschen fühlen sich so“, „Ich bin nicht allein“ oder „Wir alle haben in unserem Leben zu kämpfen.“

Lege nun deine Hände über dein Herz, spüre die Wärme deiner Hände und sage: „Ich möchte freundlich zu mir selbst sein.“ Du kannst auch überlegen, ob es einen anderen spezifischen Satz gibt, der dich in dieser speziellen Situation ansprechen würde. Einige Beispiele: „Ich werde lernen, mich so zu akzeptieren, wie ich bin“, „Ich vergebe mir selbst“, „Ich werde geduldig mit mir sein.“

Und das war es auch schon. Diese Übung kannst zu jeder Tages- und Nachtzeit machen.

👉 Tipp: Du kannst dir auch eine eigene Audio-Aufnahme dieser Übung anfertigen und sie jederzeit anhören, wenn du gestresst bist und zu viel von dir erwartest.

Warum du es versuchen solltest

👉 Schwierige Situationen werden noch schwieriger, wenn wir uns selbst über sie ärgern und sie als Zeichen dafür interpretieren, dass wir weniger fähig sind als andere Menschen. Tatsächlich beurteilen wir uns selbst oft härter als andere, besonders wenn wir einen Fehler machen oder uns gestresst fühlen. Das führt dazu, dass wir uns isoliert und noch mehr gestresst fühlen.

👉 Statt Selbstkritik ist eine wesentlich gesündere Reaktion, sich selbst mit Verständnis zu begegnen. Laut der Psychologin Kristin Neff hat dieses Selbstmitgefühl drei Hauptkomponenten: Achtsamkeit, ein Gefühl der Mitmenschlichkeit und Selbstakzeptanz. Die Übung, die du eben kennengelernt hast, verbindet alle drei dieser Komponenten, wenn du gerade eine stressige Erfahrung erlebst. Forschungen legen nahe, dass Menschen, die sich selbst in schwierigen Zeiten mit Mitgefühl statt mit Kritik behandeln, eine bessere körperliche und geistige Gesundheit erfahren.

👉 Weniger Grübeln und Versagensängste: Proband:innen den Forschungen von Kristin Neff berichteten über eine größere Achtsamkeit und Lebenszufriedenheit sowie weniger Ängste und Stress.

Tschüss Leistungsdenken! – 3 Mythen entkräftet

Mythos Nr. 1: Selbstmitgefühl ist in Wirklichkeit Selbstmitleid

❌ Falsch! Wenn wir uns in Selbstmitleid baden, geben wir die Kontrolle ab und begeben uns in eine Opferrolle. Unsere Gedanken drehen sich nur noch um eines: uns selbst. Dadurch isolieren wir uns von anderen und erhöhen dadurch sogar unseren Schmerz.

Ganz anders ist es beim Selbstmitgefühl: Wir bemerken, dass andere um uns herum ebenfalls Schmerz empfinden und mit Niederlagen zu kämpfen haben. Das verbindet uns das als Menschen. Wir sind nicht allein. Unsere Sicht erweitert sich und umfasst alle Wesen – statt nur uns selbst.

Mythos Nr. 2: Selbstmitgefühl ist egoistisch

❌ Was passiert denn langfristig, wenn wir unsere eigenen Empfindungen mit Füßen treten und nur noch versuchen, zu funktionieren? Wir werden leichter reizbar, ausgebrannt und erschöpft, und nachtragend. Wer ist dann noch dazu fähig, freundlich und unterstützend mit anderen umzugehen? Oder produktiv zu sein? Die Untersuchungen von Kristin Neff zeigen außerdem, dass Egoismus und Selbstmitgefühl nicht miteinander zusammenhängen. Im Gegenteil, Menschen, die selbstmitfühlend sind, sind sogar altruistischer und weniger auf ihren eigenen Vorteil fokussiert.

Mythos Nr. 3: Selbstmitgefühl schadet der Motivation

❌ Selbstkritik ist nicht der Antrieb, der uns erfolgreich macht. Eher sind wir erfolgreich TROTZ unserer permanenten Selbstkritik. Sich selbst fertig zu machen, um in unserer Leistungsgesellschaft erfolgreicher zu sein, macht uns krank. Studien haben vielmehr gezeigt, dass Selbstmitgefühl unsere Motivation steigert und uns wachsen lässt. Wenn wir uns dafür bestrafen, dass wir etwas nicht erreicht haben, fühlen wir uns nur noch frustrierter und haben irgendwann das Gefühl, in einer Sackgasse gelandet zu sein.

Selbstmitgefühl entwickeln: wissenschaftliche Fakten

Die drei Elemente der Übung – Achtsamkeit, Mitmenschlichkeit und Selbstakzeptanz – spielen eine wichtige Rolle bei der Steigerung des Selbstmitgefühls. Diese Achtsamkeit ermöglicht es uns, einen Schritt zurückzutreten und zu erkennen, dass wir Leiden erfahren, ohne dies als etwas Schlechtes zu bewerten, das um jeden Preis vermieden werden muss. Manchmal bemerken wir es nicht einmal, wenn wir Schmerz empfinden oder leugnen, dass wir leiden, weil dies wiederum neue Gefühle von Schwäche hervorruft.

Das Durchlaufen der oben erwähnten Schritte als Reaktion auf eine stressige Erfahrung kann uns helfen, unsere selbstkritischen Stimmen durch mitfühlendere zu ersetzen. Und zwar durch eine, die uns beruhigt, anstatt uns für unsere Unzulänglichkeiten kleinzumachen. Das macht es leichter, den Stress zu verarbeiten und einen Ort der Ruhe, Akzeptanz und Zufriedenheit zu erreichen.

Die Teilnehmer:innen eines achtwöchigen Programms (Mindful Self-Compassion, MSC), das u.a. auch diese Übung beinhaltete, berichteten, dass sie am Ende des Programms nachsichtiger mit sich selbst umgingen als zu Beginn. Ihr Selbstmitgefühl am Ende der acht Wochen war zudem größer als das einer Vergleichsgruppe, die nicht an dem Programm teilgenommen hatte. Die MSC-Teilnehmer berichteten auch über eine größere Achtsamkeit und Lebenszufriedenheit sowie geringere Depressionen, Ängste und Stress als die Vergleichsgruppe.

Studie: Neff, K. D., & Germer, C. K. (2013). Eine Pilotstudie und randomisierte kontrollierte Studie zum Programm “Achtsames Selbstmitgefühl”. Journal of Clinical Psychology, 69(1), 28-44.

Kraftvolles Selbstmitgefühl für Frauen: Klar für sich selbst einstehen, engagiert handeln und Erfüllung finden von Kristin Neff

💬 Ich bin gespannt, ob dir diese Übung gut getan hat! Ich freue mich riesig über Feedback dazu. Schreib mir gern: Soll ich öfter solche Übungen vorstellen? Wie hast du dich hinterher gefühlt?

Folge 36 im Webplayer

Links und Lesetipps zu Podcastfolge 36: Selbstmitgefühl statt Leistungsdruck

📖 Buchtipp: Kraftvolles Selbstmitgefühl für Frauen: Klar für sich selbst einstehen, engagiert handeln und Erfüllung finden* – Kristin Neff

📖 Buchtipp: All das ist für dich: Das kleine Buch der Zuversicht* – Ruby Jones

🔗 Studie: Neff, K. D., & Germer, C. K. (2013). Eine Pilotstudie zum Programm „Achtsames Selbstmitgefühl“. Journal of Clinical Psychology, 69(1), 28-44

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Timon und Melina

Übung für achtsames Selbstmitgefühl: So geht es

  1. Suche dir einen ungestörten Ort, an dem du dich für ein paar Minuten entspannen kannst.

  2. Denk an eine Situation in deinem Alltag, die gerade schwierig ist und die dir Stress bereitet.

  3. Rufe dir diese Situation ins Gedächtnis und spüre den Stress nach. Kannst du das emotionale Unbehagen in deinem Körper nachempfinden, wenn du daran denkst?

  4. Sage nun zu dir selbst den folgenden Satz laut: „Dies ist ein Moment des Leidens.“ Das Anerkennen deiner Gefühle ist eine Form der Achtsamkeit – einfach wahrzunehmen, was für dich emotional im Moment vor sich geht, ohne die Erfahrung als gut oder schlecht zu bewerten. Du kannst auch einfach sagen: „Das tut weh“ oder „Das ist Stress“. Verwende die Aussage, die sich für dich am natürlichsten anfühlt.

  5. Sage als nächstes zur dir selbst: „Leiden ist ein Teil des Lebens.“ Mit dieser Aussage erkennst du an, dass dich dieses Gefühl mit anderen Menschen verbindet. Es geht nicht darum, deine Gefühle zu bagatellisieren. Sondern wir alle sind Menschen, die schwierige Erfahrungen machen.

  6. Lege nun deine Hände über dein Herz, spüre die Wärme deiner Hände und sage: „Möge ich freundlich zu mir selbst sein.“


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